Wie erarbeite ich mir eine Rekonstruktion? Oft schaue ich mir den Fund an und ich habe eine Idee, wie ich es machen kann. Besonders bei 'schwierigeren' Rekonstruktionen kann es oft eine längere Zeit dauern, bis ich das richtige Motiv und die richtige Technik entwickelt habe.
Hier zeige ich die Entwicklung anhand einer Borte aus Oseberg:
Ich kenne den Fund und die Bilder schon länger, u.a. gibt es Abbildungen davon im Buch Arne Emil Christensen, Margareta Nockert und Universitetet i Oslo, Osebergfunnet: Bind IV, Tekstilene, 2006. Ich hatte aber immer ein anders Projekt in der Planung, so dass ich nicht dazu kam, mich ausführlich damit zu beschäftigen.
Erneut darauf aufmerksam wurde ich durch einen Rekonstruktionsversuch im Januar 2023, wo ich gedacht habe, nein, so ist es nicht gewesen.
Und das motivierte mich dann doch, Zettel und Stift zu nehmen und einen ersten Entwurf zu zeichnen.
Wenn ich nicht ganz sicher bin, in welcher Technik das Band gewebt wurde, dann fange ich mit der einfachsten möglichen Technik an und arbeite mich dann zu den komplexeren Techniken durch.
Viele brettchengewebte Borten, die im ersten Moment extrem komplex wirken, sind oft viel einfacher zu rekonstruieren, als man denkt. Und die einfachen Techniken hat man schnell gewebt :-).
Die einfachste Technik, die ich mir hier vorstellen konnte, ist ein Art Sulawesi. Hier mit drei hellen und einem dunklen Faden gewebt.
Es gibt auch diverse Verwendungen dieser Webtechnik im historischen Kontex. Unter anderem aus Hallstatt und Halberstadt.
Ich persönlich fand das Ergebnis als ersten Entwurf nicht so schlecht, aber 'ausbaufähig'. Die Struktur mit dem erhobenen Musterfaden fehlte und ich musste auch noch an dem Motiv selber arbeiten. Aber es war in meinen Augen deutlich besser als das Ergebnis des Rekonstruktionsversuches der anderen Weberin vom Januar.
Um die Struktur zu erarbeiten schaute ich mir andere Borten an, die ich in den letzten Jahren gewebt hatte. Da bekomme ich oft Ideen, was man machen kann.
Dieses Missed Hole - eine freie Interpretation eines Textils aus Oseberg nach einer Zeichnung von Sofie Krafft - das ich 2019 gewebt hatte, sah schon vielversprechend aus. Aber so ganz stimmte es nicht.
Also war der nächste Versuch ein Missed Hole, das keltischen Funden entspricht, wo das leere Loch neben dem Musterfaden ist.
Nach 30 cm habe ich abgebrochen. Das passte so gar nicht....
Wieder zurück zum Missed Hole, wieder durch meine Bücher geblättert. Und dann bin ich auf das Höfdi-Band gestoßen. Das hatte ich 2021 angefangen zu weben, bin aber nicht weiter gekommen, weil der nächste Schritt mehrfarbiges Broschieren gewesen wäre. Das war mir damals zu zeitaufwändig.
Jetzt hatte ich Lust, mit zusätzlichen Schussfäden zu arbeiten und es hat mich abgelenkt, so dass ich ein Stück vom Höfdi-Band weiter gewebt habe, statt mich wieder an das Oseberg-Band zu setzen.
Allerdings in der falschen Technik, als einfaches Missed Hole und nicht in der aufwändigen Version aus dem Höfdi-Band (ich nenne es Islandic-Missed-Hole). Und ein ganz bestimmes Motiv gab mir dann die Idee, wie das Motiv des Oseberg-Bandes aussehen muss und wie ich das Muster zu entwicklen habe. Da ich keine Ahnung habe, woher ich das Bild vom Original habe, kann ich das leider nicht posten, aber meinen Musterentwurf und die Nachwebung:
Der große Vorteil vom einfachen Missed Hole ist, dass ich nur mit einer Skizze arbeiten kann. Beim Islandic Missed Hole muss ich eine ausführliche Anleitung schreiben, wie z.B. hier.Ja, das ist schon eine Vorschau für die Oseberg Borte :-) |
Wie schon gesagt, ich habe das Höfdi-Band nur als Missed Hole gearbeitet, es ist nicht die richtige Technik, die weißen Linien müssen breiter sein, aber es ist viel schneller gewebt und es ist immer noch eine Schönheit.
Danach habe ich dann erst einmal das alles, was ich mir in den letzten Wochen erarbeitet habe in einem Blog-Beitrag zusammengefasst.
Kurz darauf war das Brettchenwebertreffen in Viersen und Jana hatte ihre Rekonstruktion des anderen Höfdi-Bandes mit. Sie hat es in der richtigen Version gewebt. Beim Vergleich der Struktur mit meinem nicht ganz richtigen Höfdi-Bandes war für mich dann endgültig klar, dass das Oseberg-Band als Islandic-Missed-Hole gewebt worden war. Bei Janas Borte ist der Musterfaden viel erhabener.
Aber da immer noch nicht mit dem Buch 'Tablet woven bands from Egypt' fertig war und ich durch das Weben des Höfdi-Bandes schon sehr abgelenkt war, verschob ich das Weben in der richtigen Version auf einen späteren Zeitpunkt. Wie so viele andere Projekte auch...
Vor einigen Wochen bin ich dann wieder an das Oseberg-Band erinnert worden. Und da ich kein dringendes anders Projekt auf dem Webstuhl hatte, habe ich es aufgezogen und gewebt.
Und ja, es passte. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich die beste mögliche Rekonstruktion ist, aber ich denke, dass das Ergebniss ein gewaltiger Schritt nach vorne ist. Jetzt wo es fertig ist, sehe ich, dass ich das Motiv noch ein wenig anpassen könnte.
Wenn ich alles durchrechne, dann habe ich ca. 25-30 Stunden gebraucht, um das Muster bis zu diesem Stand zu entwickeln.
Ich hoffe, dass ihr hier ein wenig versteht, dass viele Rekonstruktionen auch für mich mehr Arbeit sind, als einfach eine Borte aufzuketten zu weben und es passt. Oft sind es viele Stunden die ich grübel und ausprobiere und mache im Hintergrund nur kleine Schritte. Häufig gibt es mehrere Ansätze, bis ich dann mit dem Ergebnis zufrieden bin. Deswegen werde auch die Anleitungen, die mich viel Zeit gekostet haben, in meinem Etsy-Shop veröffentlicht.
Was ich nur selten mache: öffentlich über mögliche Rekonstruktionsmöglichkeiten spekulieren, ohne gleichzeitig einen Webversuch zu zeigen.
Es ist einfach mühsam, dann wieder zurückzurudern, wenn die Idee doch nicht so gut ist.
Und bei meinem Buch wollte ich nicht vorher spoilern.
Literatur:
Arne Emil Christensen, Margareta Nockert und Universitetet i Oslo, Osebergfunnet: Bind IV, Tekstilene, 2006.
Kris Leet, Linda Malan, The Willful Pursuit of Complexity, 2004
Sonja Berlin Englund, Brickvävning - sa in i Norden, 1994
Technik: Islandic Missed Hole
Musteranleitung: hier
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