Samstag, 15. Dezember 2018

Skandinavisches Frühmittelalter - wie anfangen?

Wer kennt sie nicht, die Serie Vikings. Man ist begeistert und fängt an, sich für die Wikingerzeit zu interessieren und dann möchte man eine passende Darstellung machen. Aber wo fängt man an?

Wenn es ein Cosplay zur Serie Vikings werden soll, dann orientiert man sich an der Primärquelle - die Serie. Dann seid ihr hier falsch.

Wenn es eine frühmittelalterliche Darstellung mit Schwerpunkt Skandinavien werden soll, dann seid ihr hier richtig.

Alles wikingerzeitlich - das meiste für eine wohlhabende/reiche Ausstattung,
wenig für eine einfache Darstellung. Was passt? 

Schritt eins: vergesst alles, was ihr in der Serie Vikings (oder andere Filme/Serien) gesehen hat. Das ist tolle Fantasy im Wikingerstyl. Aber passt nicht zu einer historischen Darstellung.

Um einen schönen Überblick zu bekommen, empfehle ich das Buch 'Spurensuche Haithabu: Archäologische Spurensuche in der frühmittelalterlichen Ansiedlung Haithabu. Dokumentation und Chronik 1963-2013' es gibt einen Überblicke über die archäologische Erschließung und Erforschung des Bodendenkmals, die Stadt Haithabu.
Zudem hat es viele Abbildungen von den Funden, dass man sich selbst ein Bild von der Sachkultur der damaligen Zeit machen kann (Allerdings muss man hier auch ein wenig achtsam sein: Haithabu ist Multikulti und nicht alles ist gleich Wikinger).

Es zeigt auf, wie wie viel man gefunden hat, aber auch, dass ganz viele Dinge nicht gefunden wurden. Zum Beispiel komplette Kleidungsstücke. 
Es gibt viele Fragmente, die man ergänzen und zu kompletten Kleidungsstücke interpretieren kann. Aber man kann sich nie sicher sein, ob man wirklich die richtigen Schlüsse gezogen hat.

Als Anfänger ist es bei so einer Fundlage schwer, den Weg zur eigenen passenden Ausstattung zu finden. 

Ich empfehle dann folgende Seite: 
Recrating Viking Clothing -  eine englischprachige Seite, hier wird erklärt, wie der Autor zu den Schnittmustern kommt und warum er was macht. Dazu sind die Schnittmuster recht einfach.

Welche Materialien soll man verwenden? Für die Oberbekleidung Wolle, für die Unterbekleidung Leinen (Es gibt da diverse Ausnahmen und Leinen war in Skandinavien nicht ganz so verbreitet wie in Mitteleuropa, aber damit kann man sich beschäftigen, wenn man mehr Erfahrung hat).
Es reicht diese Stoffe in Leinwand- oder Köperbindung zu besorgen. Aufwändigeres kann man später machen.

Leinen ist bis auf ganz wenige Ausnahmen ungefärbt verwendet worden, das sollte man für seine erste Ausstattung auch so halten...
Die Wolle ist viel ungefärbt verwendet worden, aber man hat es auch gefärbt. Folgende Farben kann man verwenden:
Unten links handgesponnen von verschiedenen Rassen.
Dabei ist bitte zu berücksichtigen, dass die dunkelblauen und roten Farbtöne 'teuer' waren und deswegen wolhabenden Darstellungen vorbehalten sind.

Was für Kleidungsstücke braucht man?


Für den Mann:


Schuhe: einfach wendegenähte Schuhe nach Funden aus Haithabu (wenn man sie nicht selbst nähen kann, das teuerste der Ausstattung) eine Anleitung zum Selbermachen gibt es hier
Socken/Strümpfe Es gibt einen Fund von Nadelgebundenen Socken aus Coppergate, datiert um 950.
Das ist der einzige Fund zum Theme Nadelbinden, der halbwegs in die Region und in die Zeit passt. 
Für genähte Socken/Strümpfe gibt es einen Fund aus Island, mehr hier aber kann nicht mit einem Schnittmuster weiter helfen.
Hose: nach Thorsberg Schnitt oder ähnlich, Material Wolle, eine Anleitung gibt es im Archiv von Wikingerkleidung.de
Alternativ gibt es auch die Möglichkeit Beinlinge zu tragen. Hier eine Rekonstruktion mit Schnittmuster nach Fund aus dem Hafen von Haithabu. 
Optional: Wadenwickel aus Wolle in Fischgrätbindung
Untertunika aus Leinen (und bitte, Unterwäsche bleibt unten drunter und ist nicht sichtbar...)
Einfache Tunika aus Wolle (hier ein sehr allgemeiner Link und Teil1 + Teil 2 zeigt eine schöne Interpretation aus Haithabu)
Rechteckmantel (der gleichzeitig als Kopfbedeckung dienen kann) aus Wolle (er war damals wahrscheinlich max. Knielang)
Alternativ: Klappenrock. Hier nach Funden aus Haithabu
Kopfbedeckung: Spitzhut, wie der Anhänger aus Haithabu oder die Frey Figur von Rällinge
Zusätzlich gibt es aus Haithabu das ein Fragment einer Pillbox-Mütze, die zu friesischen Parallelfunden passt. Mehr Infos dazu hier und ein Video Tutorial hier
Bitte verwendet keine nadelgebundene Kopfbedeckung. Der einzige Fund stammt aus Trier und der hat koptischen Ursprung (Ägypten).

Dazu einen einfachen Gürtel mit schlichter Eisenschließe (max. 1,5 cm breit und so lang wie die heutigen Gürtel, das Ende baumelt NICHT bis zum Knie herab... mehr hier). Weitere Überlegungen, wie man einen Gürtel rekonstruiert gibt es hier
Ob und was als Unterhosen getragen wurde, kann ich nicht sagen, dazu scheint es keinen Fund zu geben...  

 

Für die Frau:

Schuhe: einfach wendegenähte Schuhe nach Funden aus Haithabu (wenn man nicht selbst näht, das teuerste der Ausstattung) eine Anleitung zum Selbermachen gibt es hier
Socken/Strümpfe Es gibt einen Fund von Nadelgebundenen Socken aus Coppergate, datiert um 950.
Das ist der einzige Fund zum Theme Nadelbinden, der halbwegs in die Region und in die Zeit passt. Für genähte Socken/Strümpfe gibt es einen Fund aus Island, mehr hier aber kann nicht mit einem Schnittmuster weiter helfen.
Einfaches Leinenunterkleid, ich empfehle knöchellang, zu weiterer Unterwäsche gibt es keine Funde. 
Einfaches Wollkleid, bodenlang (es kann sogar schon ein wenig aufwändiger sein, da in Haitabu Schnitte mit Armkugeln gefunden wurden)
Hier gibt es einen schönen Blogbeitrag, wie man Maß nimmt und wie man das in ein Schnittmuster umsetzt.
Kopfbedeckung z.B. Schleier oder Haube nach Fund aus Dublin
Ein Schleier mit einer brettchengewebten Vitta zeigt Dorothea.
Schultertuch ein Stück Stoff 1,3 x 1,0 m (um die zu verschließen gibt es wunderschöne Nadeln aus Knochen)

Wenn man kein Trägerkleid verwendet, dann kann ein einfacher Gürtel mit schlichter Eisenschließe getragen werden (max. 1,5 cm breit), in Kombination mit einem Trägerkleid ist es viel diskutiert und für mich ein 'no go', weil es zwar unzählige Funde von Schalenfibeln gibt, aber die Gürtelschnallen entweder in einem Kästchen neben der Toten, oder als Art 'Amulett' getragen wurde. Es gibt nur einen Fund aus England, wo beides in Kombination getragen wurde. Mehr hier.
Wenn es denn ein Gürtel sein muss, dann behängt ihn nicht (mit Tasche, Messer, usw., denn dafür gibt es gar keinen Fund).

Das Trägerkleid ist das auffällige Kleidungsstück, das man am häufigsten mit 'Wikinger' in Verbindung bringt. Dabei wird es nur in Kombination zu Schalenfibeln getragen, die mit Schlaufen (und nicht mit dicken Stoffbahnen) über der Schulter befestigt sind. Die Schlaufen hat man unzählige Male in Gräbern gefunden, das ist das, was man sicher über die Tragweise eines Trägerkleides weiß, alles andere sind Spekulationen. 
In dem Moment, wo man ein Trägerkleid tragen will, sollte man sich auf Zeit und Region festlegen, denn die Schalenfibeln haben eine modische Entwicklung durchlaufen. 

Was ist mit Verzierungen?
 
Dazu gibt es schon Blogbeiträge von mir:
 
Brettchenweben (bitte beachtet, dass die meisten gefundenen Borten zwischen 0,8 und 1,5 cm breit sind)
Glasperlen - hier gilt, weniger ist mehr. Bei den Herren max. 3 - 4 Stück, bei den Damen nur eine einreihige Kette (wenn man einen Trägerrock hat). 
 
Und wenn es denn Seide sein soll, gibt es hier einige Informationen. 

Genau das gilt auch für den sonstigen Schmuck: weniger ist mehr.  Vor der Anschaffung bitte festlegen, welche Zeit und Region man machen möchte und dann recherchieren, bevor man etwas kauft (Händler wollen verkaufen und sind meistens schlechte Ratgeber) Auch hier gibt es modische Entwicklungen.
Als Mann ist es sinnvoll, keinen Thorshammer zu tragen, ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein Fruchtbarkeitsamulett für die Frau war, wie man inzwischen oft liest, aber es wurde hauptsächlich von Frauen getragen. 
 
Pelze - es gibt einige ganz wenige Funde von Pelzen. Aber nicht als Pelzmantel, sondern als Verbrämung/Futterstoff. Es gibt zwar eine Rekonstruktion eines Fragmentes aus Hilvhoj als Mantel (die mich nicht überzeugt), aber selbst da wurde kein billiges Schaffell verwendet, sondern hochwertiger Pelz (Marder) und es gehörte zu einer richtig reichen Ausstattung, was man an der brettchengewebten Borte am Besatz erkennt. Ansonsten gibt es aus Haithabu Funde von Webpelzen, die als Ersatz verwendet wurden. 
 
Nadelbinden: Funde gibt es nur von Handschuhen und Socken. Aus recht feinem Material. Dochtwolle ist viel zu dick!
Es gibt zwar aus Trier eine genadelte Kopfbedeckung (hl. Simeon), aber das ist ein 'Mitbringsel' aus Ägypten und sollte nicht als Vorlage verwendet werden.


Was ist mit 'Handtaschen' - diese Taschen, wo die Holzbügel und einige wenige Textilfragmente gefunden wurden? Es kommt darauf an, was man daraus macht. Hier gibt es einige wirklich gute Interpretationen, allerdings nur auf englisch.
 
Was geht gar nicht? 

Polyesterstoffe und Baumwolle – gab es damals nicht. Ihr seht den Unterschied zu Wolle und Leinen vielleicht noch nicht, aber jeder, der sich länger mit Textilien beschäftigt, sieht es.

Bitte lasst bei der Auswahl von Stoffen die Finger von schottischen Tartans. Die haben ihre eigene Bedeutung und passen vom Stil her nicht zur Mode. 

Auch wenn es durchaus Funde von Trinkhörnern gibt, so sind diese nie, nie, nie am Gürtel getragen worden.   

Und Felle - nein, die wurden nicht einfach über die Schulter geworfen getragen. Siehe mein Eintrag zu Pelze.

Verwendet keine modernen brettchengewebten Borten: ja, sowohl Widderhornborten, laufende Hunde, auch die beliebten 4vorwärts und 4rückwärts Borten gehören nicht an wikingerzeitliche Kleidung. Das sind die Details, die einen ersten guten Eindruck versauen.

Und wenn man das berücksichtigt, dann hat man einen Einstieg geschafft. 



Mehr Literatur:
Und bitte beachtet: Jedes Buch ist ein Kind seiner Zeit und besonders die älteren sind bei der einen oder anderen Sache nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Forschung und deswegen mit Vorsicht zu genießen.
Die Funde von Birka als Download 
Wikinger, Waräger, Normannen: Die Skandinavier und Europa 800-1200 
Inga Hägg, "Textilien und Tracht in Haithabu und Schleswig"  
Inga Hägg, "Die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu" 
Inga Hägg, "Die Textilfunde aus der Siedlung und aus den Gräbern von Haithabu"
Marianne Vedeler, "Silk for the Vikings"
Ulla Mannering, "Iconic Costumes"
Elizabeth Wincott Heckett "Viking Age Headcoverings from Dublin"
Walton, P, Dyes of the Viking age, 1988
 
Und das ist nur der Anfang, je intensiver man sich mit einer Zeit/Darstellung befasst, um  so mehr Bücher braucht man zur Recherche. Deswegen bin ich ein großer Fan der Bücherei meines Vertrauens, über die Fernleihe bekommt man fast jedes Buch für eine kleine Gebühr.

Zuletzt bearbeitet am 24. November 2022

 

1 Kommentar:

  1. Zum Thema Leinen:
    In dem Buch Excavation in the black earth birka studies 8 'Tools for the textile production'

    gibt es eine nette Übersicht, was in Birka alles gefunden wurde. Ich zitiere da mal:
    Wool, tabby and twill (1075 fragments) 22,4 %
    Linen/hemp (tabby and twill) (800 fragments) 16,7 %
    Silk twill (750 fragments) 15,6 %
    Passementerie and Borders (650 fragments) 13,5 %
    Tablet-woven with silver weft (600 fragments) 13,5 %
    Pattern weaves, brocades, or tapestry-like weaves (280 fragments) 5,8 %
    Embroidery with gold and silver thread (140 fragments) 2,9 %
    Plaiting and sprang (125 fragments) 2,6%
    Tablet -woven bands with gold weft (100) 2,1 %
    und noch einige weitere Kleinigkeiten...
    In den Gräbern von Birka hat sich meistens nur das erhalten, was in unmittelbarer Nähe zu Metall war, was die hohe Summe der broschierten brettchengewebent Bänder erklärt, die ihr Metall gleich mitgebracht haben.
    Es ist zudem eine Ausnahme, da normalerweise Wolle und Leinen nicht zusammen in Boden erhalten bleiben, da sie unterschiedliche Ansprüche stellen.
    Aber 22,4 % zu 16,7 % zeigt, dass Leinen, zumindest bei wolhabenden Bestattungen (wegen Metall im Grab) nichts besonderes war.
    Und einige Schichtungen (wie es am Metall korridiert ist) lassen durchaus die Schlüsse zu, dass es als Unterkleidung verwendet wurde.
    Und wie Marled sagt, über 'arme' Darstellung wissen wir gar nichts.

    Zum Thema Thorshammer.
    Es gibt das Grab von einem Mann, der mit Thorshammer begraben wurde.
    Das Grab eines Mannes in Repton, Derbyshire/England (Grab 511). Gestorben im Winter 873/74.
    Er wurde u.a. mit Thorshammer begraben. Nicht zu vergessen, dass ihm bei seiner letzten Schlacht sein bestes Stück abgetrennt wurde, was im Grab durch einen Eberzahn ersetzt wurde.
    Sonst ist mir da kein Grab bekannt, wo das verwendet wurde.

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